Eine der Grundaufgaben der Architektur ist Bauten Stabilität und Dauerhaftigkeit zu verleihen. Architekten und Handwerker haben in den verschiedenen Regionen und Kulturen unterschiedliche Wege eingeschlagen, sich dieser Aufgabe zu stellen. Im Bereich der antiken Repräsentationsarchitektur wurden komplexe tektonische Gefüge entworfen und ausgeführt. Im Forschungsprojekt “Natural Hazards“ wurde sich vertieft mit den präventiven Maßnahmen und Reaktionen auf Naturgewalten auseinandergesetzt. Der Fokus lag dabei auf der Untersuchung der Zerstörungen durch Erdbeben und der erdbebenpräventiven Maßnahmen.

Research

Bauforschung im Depot des Pergamonmuseums | Foto: Moritz Taschner

Bauforschung im Depot des Pergamonmuseums | Foto: Moritz Taschner

 

Um sich diesem Themenkomplex im Bereich der Klassischen Antike zu widmen, bietet die weltweit einzigartige, jedoch noch weitgehend unerschlossene Architektursammlung SMB eine herausragende Forschungsbasis. So wurden im Depot der Antikensammlung Bauuntersuchungen und Bauteildokumentationen an ausgewählten Werkstücken durchgeführt, um auf diese Weise Maßnahmen zum erdbebenpräventiven Bauen in der antiken Architektur zu identifizieren. Auf diese wurden 50 Werkstücke nach den Methoden der manuellen Bauaufnahme gezeichnet. Weitere 30 Werkstücke wurden mit einem Handscanner Eva Artec dokumentiert und davon anschließend orthogonale Ansichten der Werkstücke generiert. Dabei stellte sich heraus, dass die manuelle Bauaufnahme durch die genaue Beobachtung bei der Dokumentation nach wie vor die wichtigste Grundlage darstellt, der Laserscan aber ein wichtiges unterstützendes Tool für die spätere Auswertung ist. Außerdem erscheint ist unumgänglich, bei der Dokumentation Geodäten und bei der Beurteilung der erdbebenpräventiven Maßnahmen zukünftig auch Spezialisten des Bauingenieurwesens einzubeziehen.

Ergänzt wurden diese Forschungen durch die Analyse der Erdbebenschäden der noch in situ erhaltenen Grundmauern und den stark verworfenen Pflasterplatten und Stufen des Hekate-Tempels in Lagina mit den zahlreich erhaltenen Werkstücken. Die bauhistorische Dokumentation dieses weitgespannten Pseudodipteros lag vor, so dass die weiteren Untersuchungen sich auf die Erdbebenschäden bzw. das erdbebenpräventive Bauen fokussieren konnte.

Tempel der Hekate in Lagina mit einem durch Erdbeben stark verworfenen Stufenbau

Tempel der Hekate in Lagina mit einem durch Erdbeben stark verworfenen Stufenbau

Der Hekatetempel in Lagina wurde durch ein starkes nachantikes Erdbeben zerstört. Dabei wurde der Kernbau des Tempels mit der Cella und dem Pronaos weniger stark betroffen als die Ringhalle. Der Kernbau wurde in einer ersten Phase errichtet und dabei auf dem anstehenden Felsen fundamentiert. Erst in einer späteren Bauphase wurde der Tempel bis auf die Oberkante der Kapitellzone abgetragen, mit einer Ringhalle zu einem Pseudodipteros erweitert und im Zuge dieser Baumaßnahme mit einem neuen Gebälk und Dach versehen. Die Ringhalle wurde dabei auf eigenen Fundamenten errichtet. Die verschiedenen Gründungen des Kernbaus einerseits und der Ringhalle andererseits führten zu den extremen Verwerfungen während des zerstörerisch starken Erdbebens.

Im Bereich des Gebälks und des Daches können aufgrund des guten Erhaltungszustandes die Abfolgen von nebeneinander angeordneten Bauteilen rekonstruiert werden. Besonders bemerkenswert sind in diesem Zusammenhang die Blöcke der beiden Tympana, die in einer besonderen Weise ausgebildet sind. Die Blöcke sind an der Vorder- und Rückseite jeweils unterschiedlich lang. Beispielweise ist die Vorderseite kürzer als die Rückseite gearbeitet und der folgende Block in der umgekehrten Weise ausgeführt. Außerdem sind einige der Seitenflächen in ihrer ganzen Tiefe leicht gekrümmt. Einen ähnlichen Befund weisen auch Blöcke des Gebälks auf. Da die unregelmäßige Krümmung der Anschlussfläche mit der des jeweils folgenden Block abgestimmt werden muss, ist die Herstellung dieser Blöcke aufwendig. Das bauliche Gefüge wurde auf diese Weise bei kleinen und mittleren Erdbeben durch Verkeilen und Reibungsflächen gegen Horizontalkräfte geschützt, ohne dass diese Maßnahmen von außen zu sehen waren.

Tempel der Hekate in Lagina, Tympanon der Vorderseite | Foto: Thekla Schulze-Brize

Tempel der Hekate in Lagina, Tympanon der Vorderseite | Foto: Thekla Schulze-Brize

Auf der Basis der Erkenntnisse zum erdbebenpräventiven Bauen in Lagina, aber auch in Aizanoi beim Zeustempel, in Ephesos beim Serapistempel und in Gerasa beim Zeustempel und Artemistempel wurden die Bauteile im Depot vom Pergamonmuseum ausgewählt.

Insgesamt zeigen diese Beispiele, wie die Werkstücke im Baugefüge antiker Repräsentationsbauten im Bereich des Türsturzes und des Hyperthyrons, außerdem in den Lagen oberhalb der Architravzone in unterschiedlicher Weise von außen sichtbar oder auch nicht sichtbar verkeilt werden. Die einzelnen Werkstücke können sich bei leichten und mittleren Erdbeben bewegen, ohne aus dem ursprünglichen Gefüge auszubrechen. Starre Verbindungen wären für den Lastfall Erdbeben bekanntlich nicht geeignet gewesen. Stabilität wurde offenbar durch eine kontrollierte Elastizität des Gefüges gewährleistet. Diese Überlegungen zum erdbebenpräventiven Bauen stehen erst am Anfang. Geplant sind interdisziplinäre Untersuchungen mit Erdbebenspezialisten und Bauingenieuren im Depot der Antikensammlung, sowie an weiteren antiken Orten im Mittelmeerraum und im Nahen Osten.

Verwandte Projekte

(Plus-15) Natural Hazards – Earthquakes in the Resafa area, Syria