Innovationen

Das Wollschaf

Hauptfigur einer Revolution

Schaf- und Ziegenherde in Humayma/Jordanien| Foto: N. Benecke

 

Eisen, Rad und Wagen … derlei Dinge klingen handfest und schwergewichtig im Kreise der Innovationen der Menschheitsgeschichte. Aber wenn Archäologen anfangen, von Innovationen zu reden, kommen sie irgendwann zum Wollschaf. Das Wollschaf … ?

Auf einem von Industrie geprägten und mit Technik amalgamierten Kontinent stellt man sich unter Innovationen natürlich etwas anderes vor, zumindet etwas Metallisches, aus Kunststoff Gefertigtes oder seit einigen Jahrzehnten am besten etwas ganz Körperloses, virtuell und wolkig.

… die Züchtung des Wollschafes war nicht nur eine ungeheure Innovation, sondern auch die Grundlage einer technologischen Revolution Wolfram Schier

Tatsächlich kam das Wollschaf mit Rad und Wagen, mit der Domestizierung des Pferdes, mit den Kupferlegierungen und den Waffen mit langen Klingen, mit zahllosen anderen technischen und sozialen Neuerungen, die Grundlage dessen sind, was wir heute noch tun, denken und benutzen – ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden.

Wer denkt schon noch – außerhalb des Konzepts Mode – über Kleidung nach? Doch vom Wollschaf zu einem Kleidungsstück zu kommen, ver-langt einen enorme Denkleistung. Fäden zu spinnen, zu einer Fläche zu weben und das zweidimensionale Tuch auf einen dreidimensionalen – menschlichen – Körper zu übertragen, erfordert mathematische Kenntnisse und ein hohes Abstraktionsvermögen.

Map of southeastern European sites (n = 234) with major bone assemblages; time frame: 7.000-1.500 BCE (source: H. C. Küchelmann 2014)

Archäologische Fundstellen mit größeren Ansammlungen von Schafsknochen; Südosteuropa, 7.000-1.500 BCE | Autor: H. C. Küchelmann 2014

“In Europa hat sich die Wollnutzung des Schafes spätestens im Übergang zur Bronzezeit endgültig durchgesetzt, vorderasiatische Bildzeugnisse aus Mesopotamien weisen gar auf das 4. vorchristliche Jahrtausend”, erklärt Wolfram Schier, Sprecher der Forschungsgruppe (A-4) Textile Revolution. Da hatte das ursprüngliche Wildschaf schon eine lange Züchtungsgeschichte hinter sich, bevor es zu einer der bahnbrechenden Innovationen der Menschheitsgechichte wurde. Schafe hält der Mensch seit über 10 000 Jahren, die Forschergruppe befasst sich unter verschiedenen Aspekten mit dem alt eingesessenen Haustier. “Wir wollen eine ökonomische Innovation von großer Reichweite während des Spät-Neolithikums oder der Kupferzeit von einer breiteren disziplinären Perspektive aus betrachten.” Denn natürlich war das Wollschaf die Basis für eine schnell wachsende Textilproduktion. “Das heißt, die Züchtung des Wollschafes war nicht nur eine ungeheure Innovation, sondern auch die Grundlage einer technologischen Revolution”, sagt Schier. Wärmere, besser sitzende Kleidung wurde möglich, die man anders als Felle gut färben und mit Mustern versehen konnte, so dass auch sozialer Status oder Her-kunft anhand von Kleidung dargestellt werden konnte.

Die Forschungsgruppe durchforstet archäologische Quellen, um die Nutzung des Wollschafes in Europa und im Vorderen Orient zwischen dem 5. und dem 2. Jahrtausend v. Chr zu untersuchen. Da die Wolle selbst nach so langer Zeit verwittert, müssen die Wissenschaftler sich anderer Methoden bedienen, um zu den gewünschten Ergebnissen zu kommen. In einem ersten Schritt will man die archäozoologischen Daten relevanter Publikationen sichten und evaluieren und schließlich in räumlicher und zeitlicher Perspektive miteinander vergleichen.

Text: Susanne Weiss

MEHR ZUM THEMA

 

Dieser Artikel ist erschienen im Topoi Magazin RAUMWISSEN, Ausgabe 12
→ Raumwissen Ausgabe 12 online lesen [PDF | 1.8 MB]

 


 

Lesen Sie weitere Artikel in unserer Rubrik TOPOI FEATURE


 

Topoi Forschungsgruppe (A-4) Textile Revolution