In der Forschung werden Schreibungen von Ortsnamen als Quellen für ägyptisches Raumwissen — besonders für identitätsbezogene Konzepte von Fremdheit (Ägypten vs. Ausland) und Urbanität (Stadt vs. Region) — herangezogen (Loprieno 2001, 2003, Spalinger 2008). In meinem Beitrag werden exemplarisch die von Spalinger angeführten hieroglyphischen und hieratischen Schreibungen des Namens der Stadt Sile im nordöstlichen Nildelta ausgewertet. An ihren ägyptischen Namen (ṯ3rw) können drei verschiedene Hieroglyphen angehängt werden:———

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Die Hieroglyphe (eine Siedlung mit Straßenkreuzung darstellend) wird von den genannten Autoren mit den Konzepten städtisch und ägyptisch in Zusammenhang gebracht. Das Zeichen gibt eine bergige Wüstenlandschaft wieder und ein Wurfholz, wie es bei der Vogeljagd eingesetzt wurde. Beide werden traditionell mit Ausland und/oder Nomadismus assoziiert. Ein Wechsel der Schreibung wird deshalb von Spalinger als Quelle für historisch-politische Veränderungen im Grenzgebiet Ägyptens — also für explizit kommuniziertes Raumwissen — diskutiert. Für Loprieno sind diese Hieroglyphen Quellen für die mentale Demarkationslinie zwischen ägyptischem Kernland ( ) und Fremde ( ) — und damit für den identitätsstiftenden Wissensraum. Sie sind jedoch vor allem als Elemente der ägyptischen Sprache anzusprechen, genauer gesagt als Klassifikatoren, und können daher mit linguistischen Methoden ausgewertet werden. Klassifikatoren wie , und ordnen “Wörter” einer Kategorie zu. Dementsprechend sind auf sie Theorien sprachlicher Kategorisierung anzuwenden (Goldwasser 2002). Dieser Ansatz wird von Spalinger und Loprieno nicht einbezogen. Deshalb wird mein Vortrag zeigen, welche Auswirkungen die Anwendung von Modellen sprachlicher Kategorisierung auf Spalingers und Loprienos Material und ihre Interpretation ägyptischen Raumwissens haben, wo deren traditionell-ägyptologische Schlussfolgerungen theoretisch besser begründet werden können und wo sie modifiziert werden müssen.

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Bibliographie:

  1. Goldwasser, Orly. 2002. Prophets, lovers and giraffes. Wor(l)d classification in Ancient Egypt; with an Appendix by Matthias Müller (Göttinger Orientforschungen IV. Reihe: Ägypten 38,3 = Classification and Categorization in Ancient Egypt 3), Wiesbaden: Harrassowitz.
  2. Loprieno, Antonio. 2001. La pensée et l´écriture. Pour une analyse sémiotique de la culture égyptienne, Quatre séminaire à l´Ecole Pratique des Hautes Etudes, Section des Sciences religieuses, 15-27 mai 2000, Paris: Cybele.
  3. Loprieno, Antonio. 2003. Is the Egyptian determinative chosen or prescribed, in: Lucia Morra & Carla Bazzanella (eds.), Philosophers and hieroglyphs, Turin: Rosenberg & Sellier, 237-250.
  4. Spalinger, Anthony J. 2008. A garland of determinatives, in: Journal of Egyptian Archaeology 94, 139-164.