Workshop Poster Aitiologie

 

Das Konzept der Aitiologie bezeichnet in der altertumswissenschaftlichen Mythen- und Erzählforschung ein relativ begrenztes narratologisches Muster: die nachträgliche Erfindung eines Anfangs, eines Ursprungs, eines Grundes oder einer Begründung für etwas in der Gegenwart Vorhandenes – einen Kult, einen Namen, einen Baum etc. Wenn auch viele sogenannte aitiologische Mythen nicht zum panhellenischen und über die Antike hinaus wirksamen Reservoir der antiken Mythen gehören, sondern ihre Bedeutung häufig eher in einem lokalen Kontext gewinnen, so lohnt es doch nach der kulturellen Praxis zu fragen, die ihnen zugrunde liegt. Aitiologien verbinden in irritierender Weise den Anspruch auf Historizität mit dem Moment der Fiktion, den Gestus des Beglaubigens und Legitimierens mit dem Potential der Pluralität, schließlich die Inszenierung von Kontinuität mit der Diagnose des Bruchs oder des Sprungs.

Der Workshop möchte die Aitiologie als vermeintlich begründendes und Stabilität propagierendes Erzählmuster befragen und kontextualisieren. Es scheint vielversprechend, das Konzept des begründenden oder erklärenden Anfangs, auf das die Aitiologie zielt, in ein Verhältnis zu setzen zu anderen Terminologien des Anfangs, wie etwa der archê in ihrer philosophischen oder narratologischen Spielart. Eine weitere interessante Perspektive ergibt sich aus der Frage, was Aitiologien etwa von sogenannten Ursprungsmythen unterscheidet. Beide Erzählformen sind daraufhin zu befragen, ob sie das Ziel verfolgen, Ursprünge zu feiern und zu auratisieren, ob sie zudem eine Rückkehr zum oder Reinszenierung des Ursprungs propagieren, um so rituell-performativ die ursprüngliche Ordnung zu erneuern und zu bekräftigen. Demgegenüber stünden Muster der Pluralisierung und Diffusion von Anfängen sowie das prominente Erzählmotiv des ‚zweiten‘ Anfangs einer Kultur (etwa nach einer Sintflut).

Anfangslogiken sollen auf diesem Workshop sowohl in der Antike – vom Alten Orient über Griechenland bis nach Rom – als auch in späteren Epochen bis in die Moderne hinein untersucht werden. Dabei ist nicht zuletzt die Frage relevant, ob auch wissenschaftshistorische und geschichtsphilosophische Narrative – etwa das der Literaturgeschichte, der Evolution oder der Psychoanalyse – aitiologisch zu fassen sind und ob bzw. wie die Aitiologie in diesen Disziplinen mit dem aitiologischen Interesse der Mythen- und Kulturerzählung interagiert. Gibt es historische, politische und diskursgeschichtliche Bedingungen, die die Suche nach dem Grund, der Erklärung und dem Anfang begünstigen – also gewissermaßen eine Aitiologie der Aitiologie? Und haben diese Einfluß auf das Konzept des aitiologischen Mythos in der modernen Mythentheorie?

Weiterführende Links

Anfangsgründe: Aitiologisches Erzählen in Mythos, Literatur und Wissenschaft – Rückblick

Program

29.11.2018
14:00 - 14:30
Ankunft, Kaffee
14:30 - 14:45
Einführung
Susanne Gödde
Sebastian Zerhoch
14:45 - 18:15
I. URSPRUNGSERZÄHLUNGEN IN GRIECHENLAND UND ROM
14:45 - 15:45
Hesiod’s Chaos: the Non-Aetiological Beginning of the Theogony
Glenn W. Most
15:45 - 16:15
Kaffeepause
16:15 - 17:15
Zur Künstlichkeit poetischer Aitiologien (Pindar, Pythie 12)
Thomas Poiss
17:15 - 18:15
Ovids Kulturaitiologie in den Fasti
Christian Badura
19:00 - 21:00
Gemeinsames Abendessen
30.11.2018
09:30 - 15:00
II. DER ZAUBER DES ANFANGS
09:30 - 10:30
Odin und Buddha: Indologische Ursprungserzählungen im skandinavischen Antiquarismus
Bernd Roling
10:30 - 11:30
"Denn eine jede Sage bedarf eines Bodens": Autochthonie und Migration in der Mythenforschung des 19. Jahrhunderts
Susanne Gödde
11:30 - 12:00
Kaffeepause
12:00 - 13:00
Das wunderbare Jahr 240 v. Chr.: Zum Philhellenismus in Literaturgeschichtsschreibung und Edition
Antje Wessels
13:00 - 14:50
Mittagessen im Restaurant Galileo
14:50 - 18:30
III. ZUR NARRATIVIERUNG VON PHILOSOPHIE UND WISSENSCHAFT
15:00 - 16:00
Poetische Metaphysik und barbarische Reflexion. Giambattista Vicos Kulturphilologie
Anne Eusterschulte
16:00 - 17:00
Aitiologie als Methode der historischen Wissenschaften und die Anfangsfrage in der Begriffsgeschichtsschreibung
Georg Toepfer
17:00 - 17:30
Kaffeepause
17:30 - 18:30
(De)konstruktionen des Ursprungs: (Re)produktionen großer Meister oder die ‚paternelle Ätiologie‘ der Psychoanalyse
Susanne Lüdemann
19:00 - 21:00
Gemeinsames Abendessen