Es ist ein Gemeinplatz der archäologischen Forschung, dass die spezifischen Produktionsbedingungen der kaiserzeitlichen Bildkunst regelmäßig zu einer Adaption von einzelnen Bildmotiven, Figurentypen oder Kompositionsschemata für neue Bildzusammenhänge führten (vgl. Boschung – Jäger 2014). Während dieses Phänomen in der älteren Forschung fast durchgehend negativ als Ausdruck einer Epoche von Nachahmern abgetan wurde, setzte sich innerhalb der vergangenen Jahrzehnte die Erkenntnis durch, dass die eklektische Art der kaiserzeitlichen Bildproduktion mit entsprechenden Sehgewohnheiten der zeitgenössischen Betrachter einherging (Fullerton 1997). Das Phänomen wird dabei in aller Regel mit der Frage verbunden, inwiefern die ursprüngliche Bedeutung von Motiven oder Figurentypen bei Übertragung in einen neuen Bildzusammenhang teilweise erhalten bleibt, sich also eine spezifische Art von Mehrdeutigkeit ergibt, die einerseits von den Seherfahrungen des individuellen Betrachters abhängig zu denken ist, andererseits gleichwohl im Sinne eines kollektiven Bildhaushalts auch analog zum Konzept der herkömmlichen Ikonographie verstanden werden kann (Maderna 1989; Bielfeldt 2005).
Der geplante Vortrag will an diese Überlegungen anknüpfen. Ausgehend von einem prominenten Beispiel der kaiserzeitlichen Staatskunst, dem Trajansbogen von Benevent, soll der Frage nachgegangen werden, inwiefern die kaiserzeitlichen Bildhauer bewusst von der Möglichkeit Gebrauch machten, durch Übernahme markanter Bildmotive Verweise auf andere Bildwerke oder mentale Bilder zu schaffen. Dabei wird zu zeigen sein, dass die verschiedenen Bezugsrahmen, die ein spezifisches Bildmotiv aufrufen konnte, mit seinen unterschiedlichen Bedeutungen bzw. Funktionen korrelieren, wie diese durch Mark Stansbury-O´Donnell in Anlehnung an Roland Barthes definiert worden sind (Stansbury-O´Donnell 1999). Im Einzelnen erscheinen u.a. die folgenden Aspekte von Bedeutung:
- Das Modell von Barthes/Stansbury-O´Donnell erlaubt eine Hierarchisierung der Bedeutung eines Bildmotivs in Bezug auf unterschiedliche Referenzrahmen: Während ein und dasselbe Element für das Verständnis einer figürlichen Szene allein von nachrangiger Bedeutung sein kann (catalyst), vermag es durch seine interpikturale Verweisfunktion (index) ein hohes semantisches Potential zu entfalten. Innerhalb des Spektrums möglicher Bedeutungen eines Bildelements lässt sich somit eine graduelle Abstufung an semantischer Qualität postulieren.
- Die Verwendung eines spezifischen, anspielungsreichen Bildmotivs konnte vor diesem Hintergrund u.a. erfolgen, um den Inhalt eines Bildes insgesamt zu akzentuieren und mithin von anderen Darstellungen desselben Themas in programmatischer Weise abzugrenzen. Mehrdeutigkeit im Detail kann mithin zur Eindeutigkeit eines Bildes im Ganzen beitragen.
- Das Phänomen kann zudem dazu dienen, den Begriff der “intentionellen Mehrdeutigkeit” an sich zu diskutieren. Liegt eine solche nur dann vor, wenn Darstellungen nach Art von Vexierbildern vollkommen unterschiedliche oder gar gegensätzliche Bedeutungen in sich vereinen? Oder lässt sich von intentioneller Mehrdeutigkeit auch und gerade dann sprechen, wenn sich die unterschiedlichen Referenzrahmen innerhalb eines verhältnismäßig engen Spektrums möglicher Aussagen additiv oder komplementär ergänzen?
Literatur: | |
Bielfeldt 2005 | R. Bielfeldt, Orestes auf römischen Sarkophagen, Berlin: Reimer, 2005 |
Boschung – Jäger 2014
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D. Boschung – L. Jäger (Hrsg.), Formkonstanz und Bedeutungswandel, Paderborn: Wilhelm Fink Verlag, 2014 |
Fullerton 1997
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M. D. Fullerton, “Imitation and Intertextuality in Roman Art”, in: JRA 10 (1997), 427–440 |
Maderna 1998
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C. Maderna, Iuppiter Diomedes und Merkur als Vorbilder für römische Bildnisstatuen. Untersuchungen zum römischen statuarischen Idealporträt, Heidelberg: Archäologie und Geschichte, 1989 |
Stansbury-O´Donnell 1999
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M. Stansbury-O´Donnell, Pictorial Narrative in Ancient Greek Art, Cambridge: Cambridge University Press, 1999 |