Identität ist eines der komplexesten Konzepte der Sozial- und Kulturwissenschaften. Raumbezogene Identität stellt eine spezifische Variante dieses Konzepts dar. Die Hauptbedeutung von Identität wird von der Philosophie und der Logik thematisiert. Ein Gegenstand oder eine Entität X ist mit sich selbst ident: X=X. Damit ist Identität die Voraussetzung dafür, dass die Entität X auch als X erkannt und von anderen Entitäten unterschieden werden kann. Eine spezifische Variante der Begriffsverwendung bezieht sich auf ein zentrales Konzept der Psychologie: die Ich-Identität (“ego-identity”, Selbstidentität) eines Menschen. Ich-Identität ist die reflexive Bewusstseinsleistung eines menschlichen Individuums, bei der Erfahrungen über die eigene Existenz verarbeitet werden und in der das Selbstbild der betreffenden Person zum Ausdruck kommt.
Um die verschiedenen Dimensionen der Raumbezogenheit von Identität auf konsistente Weise darzustellen und aufeinander zu beziehen, wird als theoretische Hintergrundposition das Konzept der “multiplen Identität” des Psychologen Carl Friedrich Graumann (1983) genutzt. Er unterscheidet zwischen Identität und Identifikation. Identifikation wird als Bewusstseinsprozess aufgefasst, der sich auf drei Grundoperationen des Identifizierens bezieht.
In einer ersten Bedeutung wird unter “Identifikation” die kognitive Erfassung eines Objekts durch ein wahrnehmendes und erkennendes Subjekts verstanden (“identification of”). Die in unserem Lebensvollzug allgegenwärtigen Identifikationen betreffen natürlich auch “räumliche Gegenstände”. Im Kontext sozialer Interaktionen wird jeder Mensch auch selbst zum Gegenstand von Identifikation. Er oder sie wird von anderen als Person einer bestimmten Art identifiziert (“being identified”). Hier kommen neben vielen anderen Merkmalskategorien raumbezogene Klassifikationskriterien vor (“Er ist ein Berliner”). Man kann aber nicht nur eine bestimmte Entität als eben diesen Gegenstand wahrnehmen, sondern man kann sich auch mit diesem Objekt identifizieren (“identification with”). Bezugsgrößen dieser Art der Identifikation können auch räumliche Gegenstände der Lebenswelt sein. Das bedeutet, dass man sich das betreffende Objekt gleichsam “zu eigen” macht und es in irgendeiner Form auf die eigene Ich-Identität bezieht.